BÜCHER
Ausgabe 01/2020

Liebe Leserinnen,
liebe Leser,

in der Vorweihnachtszeit stapeln sich bei uns in der Redaktion die Bücher bis zur Decke, denn wir stellen für das Novemberheft jährlich die schönsten Bücher des Jahres in der großen LeseArt-Strecke zusammen (ab S. 63). Bücherberge mögen aus der Ferne verlockend erscheinen, doch wenn man vor ihnen steht, dann wird einem immer wieder schlagartig klar, wie unmöglich es ist, all diese großartigen Bücher jemals zu lesen, geschweige denn sie in einem 100-Seiten-Heft unterzubringen. So kann also jede Auswahl nur aus Hunderten von Auslassungen bestehen und ist zwangsläufig subjektiv. So wie das Leben selbst – und wie das Lesen. Ein roter Faden in diesem Heft wurde deshalb für uns das „Leben lesen“ – ganz offensichtlich im Sachbuch-Schwerpunkt, der auf Biografien und Bekenntnissen liegt. Dort feiern wir den 200. Geburtstag des großen Menschenzeichners Theodor Fontane (ab S. 42) und freuen uns sehr, dass unsere Autorin Christiane von Korff die irischen Tagebuchaufzeichnungen von Benoîte Groult mit ihren früheren Treffen mit dieser außergewöhnlichen Autorin beim Lesen abgleichen und einbringen konnte (ab S. 38). Doch auch jenseits dieses Schwerpunktes stellten wir fest, dass viele Texte und Gespräche in diesem Heft von Geschichten erzählen, die das Leben schreibt. So verwob Isabel Allende die reale Fluchthelfer-Aktion Pablo Nerudas, der Flüchtlinge aus Franco-Spanien nach Chile brachte, in ihrem neuen Roman (S. 23). Und der ehemalige Vize-Präsident Nicaraguas, Sergio Ramírez, beschreibt heute in seinen schwarzhumorigen Black-Novels die bittere Realität seines Landes, das in Chaos und Gewalt versinkt (ab S. 54). Ganz besonders berührt hat mich auch das Interview mit André Aciman: „Ich schrieb immer, um auf das Thema Leben zurückzukommen, über das Nebenleben, das andere Leben. Was hätte sein sollen, aber nicht war. Ich schreibe nie im Indikativ Präsens. Es gibt Menschen, die im Indikativ der Gegenwart leben, zumindest sagen sie das. Ich lebe im Konditional, Konjunktiv, Optativ, ich lebe im Irrealis. Dort ist mein Zuhause. Und ich schreibe ein Buch darüber, weil ich denke, dass viele von uns dort leben.“ In diesem Sinne laden wir Sie ein, sich in diese vielen literarischen Lebensläufen zu vertiefen und das Lesen zu leben!

Herzlich

Tina Schraml